Language is a Virus from Outer Space. cut sth up - |
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Am 1.
Oktober 1959 machte Brion Gysin, ein Maler, Schriftsteller und Freund des
amerikanischen Autors William S. Burroughs, eine folgenschwere Entdeckung.
Er schnitt auf seinem Arbeitstisch ein Passepartout zurecht, und die Zeitungsseiten,
die er als Unterlage benutzte, zerfielen dabei in Streifen. Als er die Streifen
in willkürlicher Anordnung auf einen Karton klebte und spaßeshalber versuchte,
sie als "intakte" Seite zu lesen, erlebte er einen eigenartigen Effekt:
Es kamen durchaus vollständige Sätze zustande, die teils erheiternden Nonsens
enthielten, teils aber auch einen geheimnisvoll verschlüsselten Sinn zu
haben schienen. Erst kurz zuvor hatte er zu Burroughs gesagt, die Literatur habe gegenüber der Malerei einen Rückstand von fünfzig Jahren aufzuholen, und in dieser neuen Collagetechnik der Worte gab es nun eine Möglichkeit, der Literatur auf die Sprünge zu helfen und ihr die Technik der Collage zu erschließen. Burroughs sah sofort, daß
diese zufällig von Brion Gysin entdeckte und später auf den naheliegenden Namen
cutup getaufte Methode nicht nur ideal für die Herstellung von Kollektivtexten
war, sondern auch für die Wiedergabe alogischer Vorgänge und gleichzeitiger
Ereignisse, die einem in Träumen wie im Alltag ständig begegnen. |
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"Ich fing also an zu experimentieren", erinnerte sich Burroughs. "Jede erzählende
Passage oder jede Passage, sagen wir, poetischer Bilder kann beliebig oft variiert
werden, und alle Variationen können in sich interessant und gültig sein. Eine
zerschnittene und neu arrangierte Seite von Rimbaud wird einem gewissermassen
neue Bilder liefern - wirkliche Rimbaud-Bilder - aber neue... Cutups stellen
neue Verbindungen zwischen Bildern her, so daß sich unser Vorstellungsvermögen
entsprechend erweitert..." Die ersten Cutups waren Gedichte, und wenn man Cutup-Romane als lange Prosagedichte begreift, werden sie ohne weiteres verständlich - eine damals neue Entwicklung in der Literatur der Moderne. In diesen Romanen wird herkömmlicher Erzählstil durch Nebeneinanderstellungen ersetzt. Cutups werden eingesetzt, um die Technik der Collage auf die Literatur zu übertragen. Dies gilt in besonderer Weise für die späteren überarbeitungen der Palimpsesten vergleichbaren Texte, bei denen Auslassungen und Hinzufügungen, Überschreibungen und Erläuterungen sichtbar bleiben - das Modell eines Schriftstellerbewusstseins, das sowohl seine durch Drogen hervorgerufenen Halluzinationen als auch sein Alltagsbewusstsein, das Aufflackern von Bildern und die Stimmungsschwankungen widerspiegelt. Burroughs hat diese Texte auch mit dem verglichen, was das Auge während eines kurzen Stadtspazierganges sieht: Hier wird ein Blick durch ein vorüberfahrendes Auto zerstückelt, dort sieht man, was sich in Schaufensterscheiben spiegelt, und all diese Bilder werden zerlegt (cut up) und verwoben gemäß der Bewegungen des eigenen Standpunktes. (nach: Bary Miles, William S. Burroughs, Kellner Verlag, Hamburg 1994, S. 147ff) |